Joe Yebio und Christian Grießer stellen sich bei der nächsten Mitgliederversammlung als Vorstände zur Wahl. Beide engagieren sich seit vielen Jahren aktiv bei unserem SSV und haben sich im ersten Teil unseres Interviews bereits vorgestellt. Im zweiten Teil sprechen wir mit ihnen über die Arbeit in Pandemie-Zeiten und wie sie den SSV Reutlingen in Zukunft sehen.

SSV: Wie ist der SSV aus wirtschaftlicher Sicht durch die Coronakrise gekommen? Welche Maßnahmen wurden seitens des Vereins ergriffen?

Yebio: Natürlich haben wir stark unter Corona gelitten, einerseits wirtschaftlich durch den Wegfall der Zuschauereinnahmen. Andererseits auch durch die gestiegenen Anforderungen hinsichtlich der Spieltagsorganisation mit Hygienekonzept und verschärften Einlasskontrollen. Drittens ist es natürlich frustrierend, wenn das was wir eigentlich tun wollen, nicht oder nur eingeschränkt stattfinden kann. Und diese Situation setzt sich ja leider auch noch bis auf Weiteres fort. Nach Ausbruch der Coronakrise im Frühjahr 2020 mussten wir innerhalb kürzester Zeit verschiedene Maßnahmen zur Kosteneinsparung und zur Erschließung neuer Einnahmequellen ergreifen. Mit dem erfolgreichen Abschluss des Crowdfunding 2020 ist uns das damals gut gelungen. Auch unsere Partner und Sponsoren sind eine unglaubliche Stütze in diesen Zeiten. Obwohl bekanntermaßen auch bei vielen Firmen durch die Krise eingespart werden musste. Letztlich ging es aufgrund des coronabedingten Umsatzrückgangs und des Arbeitsausfalls aber auch bei uns nicht ohne staatliche Unterstützung.

SSV: Wie wirkt sich die aktuelle wirtschaftliche Unsicherheit auf die Zukunft aus?

Yebio: Für unser Team steht die stetige Verbesserung der wirtschaftlichen Voraussetzungen des Vereins im Vordergrund. Wir als SSV müssen solide wirtschaften und dürfen keine finanziellen Risiken mehr eingehen, um sportliche Erfolge zu »erzwingen«. Dies hat uns die Vergangenheit mehrfach gelehrt. Natürlich ist die Erste Mannschaft das Aushängeschild des SSV, daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. In unseren Augen können wir als Verein aber nur dann langfristigen sportlichen Erfolg haben, wenn wir gleichzeitig auch im organisatorischen Bereich sowie bei den Finanzen unsere Pflicht erfüllen. Es gibt mittlerweile zu viele Negativbeispiele von Traditionsvereinen, die nur den kurzfristigen Erfolg der ersten Mannschaft im Auge haben und ihre Hausaufgaben im organisatorischen Bereich nicht machen. Diesen Fehler wollen wir zukünftig vermeiden, auch wenn unser Weg dann möglicherweise etwas länger dauert. Wir sind zuversichtlich, dass wir den SSV in ruhigeres Fahrwasser bekommen. Dafür arbeiten wir als Verein jeden Tag und haben schon einige gute Ideen und Konzepte entwickelt. Aufgrund der pandemischen Situation haben wir aber kaum Planungssicherheit für deren Umsetzung.

Grießer: Was im Umkehrschluss aber nicht bedeutet, dass wir deshalb keine langfristige sportliche Strategie verfolgen. Ja, die Coronasituation lässt uns derzeit keinen großen Spielraum für hohe Gehälter. Aber auch ohne Corona kann ein Verein heute nur dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn er nicht ständig in die roten Zahlen rutscht und deshalb überstürzt handeln muss. Deshalb setzten wir auf unsere Jugend und regionale Spieler und Trainer, die sich mit dem SSV und unserer Philosophie identifizieren und sich an der Weiterentwicklung des Vereins beteiligen und mitwachsen wollen.

SSV: Wie kann man sich die konkrete Umsetzung vorstellen?

Yebio: Wir haben das Glück, dass wir im Bereich Finanzen auf fachlich kompetente und engagierte Teammitglieder zurückgreifen können. Wir legen hohen Wert auf eine solide Durchfinanzierung des Etats, rechtzeitig und im Vorfeld einer Saison. Wir werden in Zukunft keine Abenteuer im wirtschaftlichen Sinne eingehen und verhindern so, dass unter der Saison ständig – wie in der Vergangenheit – Löcher kurzfristig gestopft werden müssen.

Grießer: Wir werden keinen Drei-Jahres-Plan oder andere auf kurzfristige Erfolge ausgelegte Konzepte erstellen. Hiermit weckt man unseres Erachtens falsche Erwartungen im Umfeld und bei unseren Fans. Unser Ziel ist es vielmehr, mit einer einheitlichen Spielphilosophie und festgelegten Trainingsprinzipien über alle Mannschaften hinweg die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass wir Spiele gewinnen und stetig erfolgreicher werden. Das hilft uns finanziell und sportlich. Konkret bedeutet das, dass die Trainer aller Mannschaften regelmäßig geschult werden müssen, weil wir eine komplexe und fordernde Trainingsgestaltung genauso wie einen roten Faden in der Periodisierung der Trainingseinheiten brauchen. Wir verhindern damit, dass »jeder sein eigenes Süppchen kocht« und wollen so Synergieeffekte nutzen. Das alles ist viel Arbeit und nimmt eine Menge Zeit in Anspruch. Dadurch, dass Maik Stingel (U19 Trainer und Leiter unserer SSV Akademie) und ich als Vollzeitkräfte tätig sind, können wir schon jetzt einiges bewerkstelligen. Im Vergleich zu Konkurrenzvereinen arbeiten wir trotzdem noch mit sehr wenig Festangestellten.

SSV: Ist es nicht sehr riskant, nur auf die Jugend zu setzen?

Grießer: Wir haben nie behauptet, dass wir nur mit A-Jugendlichen agieren wollen. Vielmehr benötigen wir eine gute Mischung aus erfahrenen Eckpfeilern und jungen, hungrigen Wilden. Hier gilt es, in Absprache mit unserem Trainerteam, sorgfältig abzuwägen, welche Spieler zu unserer Philosophie passen – sportlich wie menschlich. Da spielt dann auch die Strahlkraft und Reputation unseres Vereins eine Rolle. Anders als man es vor Kurzem in der ARD-Dokumentation »Milliardenspiel Amateurfußball – Wenn das Geld im Umschlag kommt« im Fernsehen gesehen hat, lassen wir hier niemand mit Bündeln von Schwarzgeld wedeln. Solche Leute sind bei unserem SSV nicht willkommen. Das bedeutet für uns, dass wir mit Perspektive und Verlässlichkeit punkten müssen – die Aussicht auf Entwicklung gepaart mit Unterstützung durch Experten im athletischen, mentalen und medizinischen Bereich können in unserer Region nur Wenige bieten.

Fortsetzung folgt …

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