U17-Trainer Jo Noll forscht, im Zuge seiner Bachelorarbeit an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, beim SSV Reutlingen. Im Interview erzählt er uns, was sein Thema ist und wie er die Erkenntnisse aus seiner Arbeit zukünftig beim SSV Reutlingen einsetzen möchte.

SSV Reutlingen: Hallo Jo! Stell Dich doch zuerst einmal vor. Wie lange bist Du schon beim SSV und was sind dort Deine Aufgabenbereiche?

Jo Noll: Hallo Andreas! Vielen Dank für die Möglichkeit mich hier vorstellen zu dürfen. Ich bin jetzt im fünften Jahr beim SSV als Co-Trainer in der Jugend tätig. Zunächst war ich zwei Jahre lang Co-Trainer in der U15-Oberliga und bin danach mit Albert Lennerth zusammen in die U17 gegangen. Dort haben wir im ersten Jahr den Aufstieg in die Oberliga knapp in den Entscheidungsspielen verpasst und im zweiten Jahr haben wir es dann – aufgrund der coronabedingten Quotientenregelung – geschafft aufzusteigen und spielen dieses Jahr sehr erfolgreich in der Oberliga mit.

SSV: Okay, was machst Du denn sonst noch beim SSV? Eines Deiner Steckenpferde ist das Thema Videoanalyse, richtig?

Noll: Ja genau. Videoanalyse ist ein ganz großes Thema für uns im Verein und mich persönlich. Wir schauen, dass wir unsere Jugendspieler mithilfe dieses Instruments in Ihrer Entwicklung bestmöglich unterstützen können. Mit dem Videomaterial können wir entsprechend Impulse geben, wie sie sich konkret verbessern können, oder aber auch was man vom kommenden Gegner erwarten darf.

SSV: Wie genau macht Ihr das?

Noll: Es geht letztendlich darum, dass wir den Jungs Videomaterial der Spiele zur Verfügung stellen, mit dem sich das Team besser entwickeln, aber sich auch kurzfristig auf das kommende Spiel einstellen kann. Außerdem soll die Analyse auch jedem Einzelnen dienen, seine persönlichen Stärken zu optimieren und seine Optimierungspotentiale besser zu erkennen.

SSV: Jetzt hast Du gerade eine Bachelorarbeit geschrieben, auch beim SSV Reutlingen. Worum geht es da und wie bist Du auf die Idee gekommen, Deine Bachelorarbeit beim SSV zu schreiben?

Noll: Grundsätzlich geht es darum, wie schon erwähnt, die Jungs weiterzuentwickeln. Ein Riesenthema neben der Videoanalyse im Fußball ist der Bereich der Datenanalyse, wo es darum geht subjektiven Meinungen über Spieler und das Spiel möglichst mit Zahlen zu belegen. Das heißt, dass man mittels objektiveren Kennzahlen das Geschehene bewerten kann. Dieses analytische Denken ist Teil meines Studiums und findet auch immer wieder beim SSV Reutlingen seinen Platz. Das Ziel für die Arbeit war, so einen datengetriebenen Ansatz bei unserem SSV zu implementieren, weil da relativ wenig vorhanden war, eine grüne Wiese letztendlich. Mein Professor hat mir eine Kamera zur Verfügung gestellt, die Machine Learning Algorithmen verarbeiten und mit einer Cloud Anbindung kommunizieren kann. Da durfte ich mich dann austoben. Also habe ich mir einen Prozess beim SSV ausgesucht, der relativ simpel ist und mit dem ich erste Versuche und Testreihen machen konnte.

SSV: Wie bist Du konkret vorgegangen, was war die Idee oder der erwünschte Erkenntnisgewinn aus der Arbeit? Kannst Du mal genauer erklären, was Du da mit der Kamera gemacht hast?

Noll: Klar! Für die oben erwähnte Datenanalyse benötigen wir neben Kennzahlen zum Spiel auch verschiedene Leistungskenngrößen, die allgemein den Zustand der Spieler abbilden, darunter auch das Körpergewicht.  Die Spieler versammeln sich hierbei bisher in einem Raum und warten dann auf den Trainer. Dann geht ein Spieler nach dem anderen auf die Waage und der Trainer trägt die Daten von Hand auf einem Klemmbrett oder in eine Excel-Tabelle ein. Das dauert natürlich seine Zeit. Diese Zeit fehlt uns später für das eigentliche Training. Ich haben diesen Prozess so automatisiert, dass diese manuelle Arbeit für den Trainer entfällt. Wenn der Spieler das Trainingsgelände betritt, kann er die Messung ohne Trainer durchführen und muss nicht warten bis alle da sind. Dazu stellt er sich einfach auf die Waage und schaut in die davor postierte Kamera. Die künstliche Intelligenz der Kamera erkennt das Gesicht des Spielers und verknüpft diese Information mit den Messdaten der intelligenten Waage. Kamera und Waage sind mit einer Cloud-Datenbank verknüpft, in der die Messdaten dann dem Spieler zugeordnet werden. Dadurch entfällt die zeitaufwändige Schreibarbeit und die Spieler müssen nicht auf ihre Messung warten.

SSV: Was ist denn die Idee hinter der Gewichtsmessung? War das jetzt nur für Deine Arbeit oder macht Ihr das grundsätzlich?

Noll: Also, klassisch hat man das Gewicht etwa vierteljährlich gemessen. Man kann da durchaus Fortschritte oder die körperliche Entwicklung ermitteln. Um aber wirklich fundierte Aussagen treffen zu können, muss man extrem häufig messen, um eben auch die natürlichen Schwankungen, die das Körpergewicht aufweist, ausgleichen zu können. Und wie eben beschrieben ist dies mit der herkömmlichen Methode in der Häufigkeit für Spieler und Trainer sehr zeitaufwendig. Das “Körpergewicht messen” war ein erster Prozess, der im Rahmen der Bachelor-Arbeit relativ simpel umzusetzen war. Man kann das aber durchaus auf Sprinttests, Sprungstests usw. übertragen. Dadurch lässt sich eine komplette Testbatterie erstellen, die von den Spielern eigenständig ohne großen Aufwand durchgeführt werden kann. Im weiteren Verlauf kann man die Vorgehensweise auch auf das Videomaterial von Spielen selbst anwenden, indem man die Algorithmen über das Video zum Spiel laufen lässt und dann beispielsweise die Positionen der Spieler oder spezielle Spielsituationen ermitteln kann.

SSV: Okay, also die Idee dahinter ist die, diese Technik in der Kamera so zu nutzen, dass sie den Spieler automatisch erkennt, sodass man quasi diesen Spieler auch in Aktion analysieren kann?

Noll: Genau das wäre natürlich eines der langfristigen Ziele. Es gibt mittlerweile schon Algorithmen, die sowas können. Wir wollten allerdings zunächst mit einem kleineren Projekt starten und eine Möglichkeit entwickeln, wie wir Kennzahlen neben dem Platz automatisiert erheben können. Die Kamera hat den Spieler über eine klassische Gesichtserkennung erkannt, die Waage wurde internetfähig gemacht und über ein Netzwerk mit einer Cloud verbunden. In einer Datenbank wird der Spieler mit dem entsprechenden Gewicht verknüpft. Langfristig wäre es das Ziel, eine Liveanalyse von dem Spiel durchführen zu können und – wie du sagst – auch die Aktionen eines Spielers bewerten zu können. Wie dies umgesetzt werden kann, kriegt man aktuell zum Beispiel bei den Übertragungen von Sky mit: Da werden mit Amazon Web Services, einem Dienst für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, die Torwahrscheinlichkeiten wiedergegeben. Das ist so der erste populäre Schritt dieser Technologie und ist das Ergebnis intensiver Forschungsarbeit der letzten Jahre. Persönlich kann ich mir für die Zukunft vorstellen, dass man die Positionsdaten, die man über GPS-Tracker oder über Video ermittelt, zusammen mit den Leistungskennzahlen neben dem Platz kombiniert und daraus komplexere Modelle erstellen kann. Stichwort: Modifizierte Voronoi-Zellen.

SSV: Dann kann ich mir das so vorstellen: Die Kamera zeichnet auf und der Trainer muss die Daten nicht mehr von Hand eintragen, sondern durch die Personalisierung und die Erkennungsmöglichkeiten der Kamera fließen diese sofort in die Datenbank ein. Der Trainer hat dann einfach am Ende mehr Zeit für andere Dinge. Richtig?

Noll: Genau. Dadurch, dass wir eigentlich ein sehr kleiner Verein sind und die Mittel letztendlich gar nicht haben, Athletiktrainer oder sonstige Trainer stellen zu können, die sich nur mit der Ermittlung des Körpergewichts oder Sprintgeschwindigkeiten befassen, müssen wir das als Trainer selber machen. Vor dem Training steht aber im Normalfall auch die Trainingsvorbereitung oder die Videoanalyse an und da ist es natürlich schon von Vorteil, sich nicht neben der Trainingsarbeit noch mit zusätzlichem Aufwand konfrontiert zu sehen. Mit dieser Methode würde es gelingen die Trainer zu entlasten und gleichzeitig mehr Daten zu erheben. Außerdem kann sich der Trainer damit auf die Analyse der Daten konzentrieren können und muss sich nicht mehr mit deren Erhebung beschäftigen.

SSV: Was wäre denn Deine Zukunftsvision, was diesen Bereich angeht? Der erste Schritt ist gemacht mit der Kamera und der Körpergewichtserfassung. Was wären da die nächsten Steps und wo möchtest Du mit dem Thema irgendwann mal landen?

Noll: Grundsätzlich wird viel Forschung betrieben in diesem Bereich, weil es eben noch nicht die eine Super-Kennzahl gibt, die wirklich hundertprozentig aussagekräftig ist. Im Rahmen der Recherche für die Bachelorarbeit habe ich zum Beispiel gelesen, dass bei diesem phänomenalen Halbfinale zwischen Deutschland und Brasilien damals die gängigen Statistiken wie Ballbesitz, Torschussquote usw. ganz klar für Brasilien gesprochen und in keinster Weise diesen hohen Sieg von Deutschland widergespiegelt haben. Ich denke, da muss man noch unglaublich viel arbeiten in der Art und Weise, wie man welche Kennzahl erhebt, analysiert und bewertet. Langfristig gesehen, um auf Deine Frage nach der Vision zurückzukommen, ist das Ziel, dass man den Fußball so darstellen kann, dass der Subjektivität, die durch Experten oder am klassischen Stammtisch auftritt, zu einem hohen Grad mit objektiven Daten und Kennzahlen etwas entgegengesetzt werden kann. Sowohl die Spielerleistung als auch das Spiel anhand der objektiven Daten beleuchten zu können und daraus die richtigen Rückschlüsse zu ziehen wäre also das Ziel.

SSV: Dann wünsche ich Dir weiter viel Erfolg bei Deinen Projekten und dass es gut vorangeht. Ich bedanke mich für das Gespräch.

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